Vergebung
passend zur Samhainzeit- Ahnen

Vergebung
Liebe Mama
Ich sitze hier und versuche Bilder in meiner Erinnerung zu suchen, Bilder aus meinem Herzen, Bilder auf Fotos.
Du hast mich geboren, das weiss ich, dann? Irgendwie ein Schleier. Nebel.
Und als ich 18 Monate war bist Du aus meinem Leben verschwunden. Du bist gegangen. Und hast in mir ein riesen Loch hinterlassen. Erst jetzt realisiere ich wie gross.
Ich habe viele Jahre versucht dieses Loch im aussen zu füllen. Mit verschiedenen Sachen… Menschen, Essen, Ablenkung, Fantasie…
Ich weiss noch als mein Sohn 18 Monate war- in dieser Zeit habe ich oft geweint, habe ihn betrachtet und mich immer wieder gefragt: Wie ist das möglich? Wieso? Warum?
Mein Leben durch hat es mir einen Stich versetzt wenn ich Mütter mit ihren Töchter sah.. und mir ausmalte was mir alles fehlte… Auch Gefühle wie Neid. JA. Ich sag es, ich war neidisch. Bin es vielleicht immer noch punktuell, doch ich sehe hin. Auch wenn es weh tut.
Weisst Du? Ich frage mich nicht mehr nach dem warum.
Ich durfte dich dann kennenlernen, als ich schwanger war mit meinem Sohn, das ist nun gut 13 Jahre her. Ich habe dich besucht. Eine Fremde Frau und doch so nahe.
Du warst wundervoll. Liebevoll. Hast mich umsorgt. Wolltest Dich erklären. Doch ich konnte die Nähe, die Liebe nicht annehmen. Obwohl ich es wollte. Obwohl meine Seele sich danach sehnte.
Immer wieder dieses Thema von Schuld. In mir und um mich.
Doch es ist Zeit für diese Worte. Zeit für dieses Tor.
Ja, geliebte Mutter, Du hast mich verlassen. Das tat weh! Tut immer noch weh. Auch dass ich Dir das alles nicht rechtzeitig sagen konnte.
Und doch kommen in den letzten Wochen immer wieder Bilder in mir auf, wo ich Dich sehe, in den Wolken, in den Blumen am Wegesrand, in meinen Gedanken.
Als kleines Mädchen habe ich mich Dir immer so vorgestellt mit roten Haaren, in einem Königinnenblauen Kleid… mich abholen von der Schule- schön, stark und doch zart. So wollte ich Dich sehen. So und nicht anders.
Diese kindliche Fantasie war wohl wichtig. Für mich um zu überleben. Um den Schmerz auszuhalten.
Heute sehe ich Dich wieder so! Denn genau diese Aspekte hast Du auch in Dir getragen.
Heute sitze ich hier und schreibe diese Worte und sage: ICH VERGEBE DIR.
Letzte Nacht in meinem Traum sassen wir zusammen am Fluss in Sjenica. Am Uvac. Dort wo die Natur noch so unberührt ist, dort wo der Fluss eingebettet in schönster Landschaft fliesst, in Schlangenform. Du hast mich geküsst, auf der Stirn, und ich Deine Hand. Wir sassen einfach da. Zuerst war ich ein kleines Mädchen, dann die junge frau, dann die schwangere frau und dann wie im jetzt…. Und ich habe Dich angeschaut und gesagt: Ich vergebe dir, Mama.
Und Ich vergebe MIR! Dass ich diesen Gefühlen so lange nicht den nötigen Raum gab- das ich verdrängte, Menschen verletzte, mich verletzten liess. Dass ich mir einredete nicht genug zu sein, zu wenig wertlvoll… Ich vergebe mir, das ich mich nicht sah! Mich als Mädchen. Mich als Frau.
Ich sehe Dich Mama, überall um mich. Ich höre dich, spüre deine Hand, spüre deine Stimme, spüre Dich.
Und das schönste! Ich spüre dich in mir! Du bist ein Teil von mir- Ich ein Teil von Dir.
Du bist meine Mutter, jetzt meine Ahnin. Und ich danke Dir aus den Tiefen meiner Seele für mein Leben!
Hvala Majko. Hvala Mama. Hvala za moj Zivot.
Lasst uns heilen. Für Uns. Für mich. Für unsere Kinder. Für unsere Ahnen. Für unsere Welt.
Ari

Mirsada Gubler November 2018